Ach verdammt

Okay. Alles verpackt und fertig. Noch mal schnell in den Küchenschränken nachschauen, aber da sollte eigentlich auch schon alles raus sein. Serena stand in der nun leeren Wohnung, blickte wehmütig in das kühle Nichts. Keine Spuren zeugten mehr von den letzten Jahren, die sie hier gelebt hatte. Naja. Nichts außer dem Fleck unter der Decke von der Party letztes Silvester. Nein, in der Küche war auch schon alles weg. Sie setzte sich auf das Parkett, fischte eine Zigarette aus der Packung und beschloss noch für eine Kippenlänge ihren sentimentalen Gedanken nachzuhängen.


Da stand er mit einem Mal vor ihr, strahlend und wunderschön wie eh und je. Manuel. Der Don Juan von nebenan. Eine Strähne seines pechschwarzen Haares fiel ihm ins Gesicht, seine Augen blitzend vor viel versprechender, überschäumender Verschmitztheit, wie ein nie erwachsen gewordener Lausejunge. Serena lehnte sich nach hinten auf ihre Hände und strahlte zurück. "Hi!" Da war nichts mehr von der Befangenheit, kein aufgeregtes Haben-wollen-und-nicht-kriegen-können. Sie war so gut wie weg, wahrscheinlich würde sie ihn nie wieder sehen. Also, was sollte jetzt noch passieren? Mit diesem Gleichmut im Blut fiel ihr das Lächeln leicht. Leichter als zu der Zeit, als ein Lächeln von ihm sie aus dem siebten Himmel in die äußere Stratosphäre der Glückseligkeit katapultiert hätte.


"Du gehst also wirklich weg? Ohne dich zu verabschieden?" Manuel setzte sich neben Serena auf den Boden. "Ja, ich gehe. Es ist Zeit weiter zu ziehen." "Hm. Was ist denn da passiert?" Manuel streckte seine Hand aus, berührte die Wunde an ihrem Kinn. "Oh. Das ist weiter nichts. Wo umgezogen wird passiert schon mal ein kleines Missgeschick. Mir ist ein Korkenzieher aus dem Schrank entgegen geflogen." Serena versuchte die hypnotische Kraft seiner feingliederigen Finger zu ignorieren, die mittlerweile damit begonnen hatten ihr Kinn zu streicheln. Sie schaute in seine Augen, versuchte darin zu lesen. Vergeblich. Sie waren unergründlich wie eine Tasse heiße Schokolade. "Ich werde dich vermissen. Das ist dir doch wohl hoffentlich klar, oder?" Serena neigte ihren Kopf zur Seite ohne dabei den Kontakt zu seinen Liebkosungen zu verlieren. "Ja? Sollte es das? Bis jetzt dachte ich, dass du gerade mal meinen Namen kennst." "Hm." Ein Lächeln spielte auf seinen Lippen. "Meinst du?" Und dann passierte es. Dieses große eine Wunder, das Unmögliche, der Lottogewinn unter den Schicksalsschlägen. Er beugte sich zu ihr, streifte zart mit seinen Lippen über ihren leicht geöffneten Mund.


Oh. Oh! Um nicht zu sagen oh mein Gott, was Serena als relativ atheistisch eingestellter Religionsflüchtling wohl nie über die Lippen gebracht hätte, selbst wenn es in diesem Moment sturmbrausend in ihrem Kopf widerhallte. "Moment mal. Hast du mich da gerade geküsst?" "Ja." "Oh… warum?" "Weil ich das schon immer tun wollte. Ich musste wenigstens wissen, wie die Lippen schmecken die ich von nun an vermissen werde." "Oh."
Auf Serenas Gesicht breitete sich ein warmes Lächeln aus, ebenso wie es warm in ihrem Herzen rieselte. Mit einer Hand griff sie nach seiner, verwob ihre Finger mit seinen. Die andere legte sie an seine Wange die sich wunderbar rau-weich nach Mann anfühlte. Seine Augen leuchteten eine Spur heller als sie sich zu ihm beugte und mit einem stillen Seufzer einen leisen Kuss auf seine Lippen hauchte. Sie zog ihren Kopf leicht zurück, sah goldene Funken in seinem Blick funkeln und spürte das altbekannte Prickeln in sich aufsteigen. Vorbei war es mit der Weichheit, mit der damenhaften Zurückhaltung. Sie zog ihn an sich, öffnete die Lippen und begann ihrer Leidenschaft folgend seinen Mund zu erforschen. Die Augen genussvoll geschlossen prägte sie sich jeden Millimeter genau ein, spürte die fordernden Streicheleinheiten seiner Zunge während er sie mit seinen starken Armen umfing.

Manchmal muss man ein zu Hause verlassen um die Heimat zu finden. Genau so fühlte es sich an. Als wären ihre Münder füreinander bestimmt, vom Schicksal getrennt und erst jetzt wieder vereint. Sie trank seine Wärme, versank in seinem erregenden Duft.


"Ähm, Entschuldigung. Warten Sie auf das Taxi zum Flughafen?" Verwirrt öffnete Serena die Augen und fand einen unbekannten Mann in ihrer Wohnungstür stehend. "Ich hatte geklingelt, aber das haben Sie wohl nicht gehört. Können wir?" "Äh, ja. Einen Moment. Ich muss mich nur schnell verabschieden…" Sie sah die Verwirrung im Gesicht des Fahrers, verstand sie aber, erst als sie auf das leere Parkett neben sich blickte. "Ach verdammt…"


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