Morgenstund

Er lag neben ihr, es war schon der nächste Morgen. Sie lag so ruhig da, völlig gelöst, ihr Gesicht von einem Lächeln erhellt. Schlafend kuschelte sie sich enger in die warmen Decken, schnurrte wohlig wie eine Katze. Er beobachtete sie nun schon seit Stunden, konnte sich nicht an ihr satt sehen. Er betrachtete jeden Zentimeter ihrer Haut, berührte ihre Locken, roch den zarten Duft. Mittlerweile war es draußen hell geworden, Vögel zwitscherten in der wärmenden Junisonne. Langsam senkte er sich über sie, hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Und während er den Geschmack ihrer Haut auskostete erwachte sie, begann den Kuss zu erwidern. "Guten Morgen", murmelte sie in der Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Kuss. "Hallo. Na, gut geschlafen?" - "Wundervoll. So ein Sonntag ist schon was tolles!" - "Also, ich persönlich fand ja die Samstag Nacht viel schöner. Obwohl, dich aufwachen zu sehen hat schon was!" Er strahlte sie mit seinem Millionen-Dollar-Smile an. Wieder einmal fragte er sich, womit er sie verdient hatte, warum das Schicksal ihm so schöne Stunden mit ihr schenkte.


Er rappelte sich hoch, gab ihr auf dem Bett kniend einen Klaps aufs Hinterteil und meinte: "Aufstehen! Wir haben einen langen Tag voller Sonnenschein und freier Zeit vor uns. Und das wirst du nicht verschlafen. No way!" - "Alter Scheucher. Na gut, ich komm ja schon. Machst du uns Kaffee? Ich verschwinde dann mal kurz in der Dusche. Hey, ich hab noch eine bessere Idee: Wie wäre es, wenn du uns Frühstück machst und ich noch eine Weile liegen bleibe...?" Weiter kam sie nicht, denn er riss ihr schwungvoll die Bettdecke weg, nahm die zappelnde Gestalt auf die Unterarme und trug sie ins Bad, wo er einen kalten Schwall aus dem Duschkopf über sie spritzen lies. Ihre empörten Proteste beendete er gekonnt mit einem weiteren Kuss. Schließlich stellte er sich dann zu ihr unter den prickelnden Strahl...


Krachend biss er in einen Apfel. Sie hatten sich darauf geeinigt, beide das Frühstück zu machen, und dann im Bett zu essen. So lagen sie nun da, schwelgten in Brötchen mit köstlicher Marmelade, wurden durch den starken Kaffee immer wacher, lachten und scherzten ausgelassen. Sie schloss für einen Moment die Augen und lies einfach den Augenblick auf sich wirken, sog alles Glück tief in sich hinein. Bevor sie die Augen wieder öffnen konnte, küsste er ihre Lider, erst das linke, dann das rechte. Wohlige Schauer durchliefen sie, schon wieder schnurrte sie wie ein zufriedenes Kätzchen. Er hatte gerade das Tablett vom Bett geräumt, um mehr Platz für die nun folgenden Szenen zu schaffen. Da klingelte sein Handy. Mit einem genervten "Ja?" begrüßte er den Anrufer. Sie konnte nicht hören, was er sagte, aber aus den Antworten ihres Liebhabers war ersichtlich, dass er weg musste, sofort. So viel zum Thema Sonntagmorgen.


Es fehlten nur noch Hemd und Krawatte, den Rest hatte er bereits angezogen. Sie beobachtete ihn vom nun kalten Bett aus, die Arme um die nackt fröstelnden Knie geschlungen. "Kann das nicht jemand anderes erledigen? Es ist dein erster freier Tag seit einer Ewigkeit. Komm wieder ins Bett. Sie müssen doch wohl mal einen Tag ohne dich auskommen!" - "Du weißt genau, dass das nicht geht. Sie würden nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Ich muss arbeiten. Wie sollen wir uns sonst das Haus, die Wagen und all das leisten?" - "Das Geld ist mir egal. Und wenn wir in einer dreckigen Holzhütte leben müssten, Hauptsache wir sind zusammen!" - "Das sind wir jetzt doch auch." - "Ja. Für 5 Minuten am Tag. Ich kann so nicht mehr. Ich liebe dich, und ich will mit dir zusammensein. Aber ich werde mein Leben nicht damit verbringen auf dich zu warten." Mittlerweile war sie zornig, wie immer, wenn dieses Thema aufkam. Er schaute sie an, knöpfte das Hemd zu und stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus. "Lass uns heute Abend darüber reden, wenn ich wieder da bin. Ich muss jetzt los." Er beugte sich über sie und wollte ihren Mund küssen, traf aber nur die Wange, weil sie sich von ihm weg drehte. "Du bist so süß, wenn du sauer bist. Schatz, ich kann mich jetzt nicht länger aufhalten. Wir sehen uns später..." - "Lass dich von mir nicht aufhalten. Geh ruhig, ich will dich nicht stören." Er drehte sich um, schnappte Sakko, Uhr, Brieftasche und die Schlüssel des Lotus. "Ich beeile mich auch.." Mit diesen Worten war er raus, die Tür fiel mit einem hohlen Geräusch ins Schloss.


Sie blieb einfach auf dem Bett sitzen, langsam begannen die Tränen auf der Haut zu trocknen, die Enttäuschung wich bitterer Gewissheit. Er wird sich nie ändern. Immer wird die Arbeit an erster Stelle stehen. Sie war es satt, immer die zweite Geige zu spielen, immer nur brav zu Hause zu sitzen und auf ihn zu warten. Seit Jahren versprach er ihr, kürzer zu treten. Und dann kam ein neuer, irrsinnig wichtiger Auftrag, den natürlich keiner seiner Kollegen erledigen konnte. Und immer wieder musste die zurückstecken, hatten ihre Wünsche und Bedürfnisse weniger Gewicht als seine verdammte Arbeit.


Während sie die Überreste des Frühstücks in der Küche entsorgte, wich die Wut auf ihn einer entschlossenen Gelassenheit. Ich muss ihm irgendwie zeigen, dass es mir ernst ist. Er soll merken, wie es ist, wenn niemand da ist, wenn er nach Hause kommt, wie kalt und einsam ein leeres Bett ist, wie es sich anfühlt allein zu sein. Kurzentschlossen packte sie ihre Siebensachen, schrieb ihm einen Abschiedsbrief und machte sich mit dem Porsche davon. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, aber alles war besser, als gar nichts zu machen und für immer das Heimchen am Herd zu bleiben. Sie drehte die Stereoanlage voll auf, fühlte den Bass in ihren Eingeweiden und begann das neue Gefühl von Freiheit zu genießen. Wenn auch ein Stück Wehmut sie begleitete, sie fühlte, dass sie das Richtige tat. Sie trat aufs Gaspedal und lies nichts zurück als eine Staubwolke.


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